Vielleicht der letzte Sauger?: Ferrari 12Cilindri im exklusiven Fahrbericht: V12 muss es sein


Ellenlange Motorhaube mit sanftem Kotflügelschwung. So geht Sportwagen in seiner schönsten Form.
(Foto: Patrick Broich)
Ferrari lässt mit sechszylindrigem Sondermodell wie dem F80 und künftiger Elektromobilität das Herz vieler Fans bluten. Doch beim 12Cilindri ist der Name Programm. Er ist sozusagen die gute Seele der Modell-Landschaft. ntv.de hat ihn gefahren.
Man könnte meinen, den Kreativen bei Ferrari sei die Puste ausgegangen: Warum nennen sie ihren Frontmotor-Sportwagen einfallslos "12 Cilindri"? Oder handelt es sich um den Versuch, die Fangemeinde zu beschwichtigen? "Seht her, liebe Fans, natürlich führen wir weiterhin einen Zwölfzylinder im Programm!" Das ist eine so starke Botschaft, dass die Bezeichnung sie einfach widerspiegeln muss.
Klar, der V12 ist der Herzschlag nicht nur des Ferrari 12Cilindri, sondern gleich der ganzen Marke. Nur blöd, dass er nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme in der Modelllandschaft der Marke geworden ist. Wer ihn möchte, muss mit rund 400.000 Euro fast das Doppelte dessen bezahlen, was für den Einsteiger fällig wird. Und dann bekommt man lediglich sechs Zylinder. Ein bisschen traurig ist es schon.
Ferrari nutzte die Front, um eine ordentliche Prise Daytona der 1960er-Jahre in den Designcocktail zu mischen.
(Foto: Patrick Broich)
Noch viel schmerzlicher allerdings ist, dass selbst im millionenschweren Sondermodell F80 nur noch sechs Töpfe dirigiert werden. Jetzt kann man mit CO2-Limits argumentieren - aber auch Lamborghini kann doch Zwölfzylinder hybridisieren, dann sollte Ferrari das ebenfalls hinbekommen.
Doch dieses Thema soll hier nicht vertieft werden, denn jetzt steht der 12Cilindri vor mir. Unter der Haube ein Zwölfender mit klassischem 65-Grad-Bankwinkel unter der ellenlang scheinenden Motorhaube. Keine Turboaufladung. Klassisch Sportwagen eben - verteilt auf heutzutage kompakten 4,73 Metern. Bevor ich einsteige, schleiche ich aber noch ein paar Minuten um das automobile Kunstwerk herum. Was empfinde ich? Anmut? Automobile Glücksgefühle? Eine Mischung vielleicht.

Bei Details wie dem Auspuff dürfte man angesichts des sündhaft teuren Preises für einen 12Cilindri mehr erwarten können als krumm und schief gearbeitete Endstücke.
(Foto: Patrick Broich)
Die Front erinnert geschichtsbewusste Automenschen an den 365 GTB/4 aus den frühen Siebzigern, vor allem bekannt unter dem Namen "Daytona" - das gilt noch mehr für die frühen, sogenannten "Plexiglas"-Ausführungen. Und das Heck? Hinterlässt insbesondere Empörung, als der Blick auf die schlecht gearbeiteten Auspuff-Endrohre fällt. Als hätte man hastig ein Stück Rohr mit der Flex abgeschnitten. Ein Schönheitsfehler, mit dem man leben kann und muss - aber eines 400.000-Euro-Plus-Autos unwürdig.
Hochdrehzahl-V12 ist und bleibt Sahnestück

Auch Sportwagen spielen heute mit den Möglichkeiten moderner LED-Beleuchtungstechnik.
(Foto: Patrick Broich)
Doch nicht grämen! Einsteigen! Ein bisschen umsehen. Cockpit und Sitze passen. Obwohl der 12Cilindri modellhistorisch mehr Sportwagen als Gran Turismo sein müsste - immerhin wird sein Treibsatz über eine Trockensumpfschmierung für rasante Querbeschleunigung versorgt -, lassen die Fauteuils auch längere Strecken zu. Doch langsam. Schließlich will der Moment, da der 6,5-Liter erwacht, zelebriert werden.
Die Zeiten von Starttasten sind vorbei, es gibt nur noch eine entsprechend markierte Touchfläche auf dem Lenkrad. Warum? Das haptische Gefühl ist dahin. Helles Summen, etwas dunkler eingefärbtes Aufschreien des Zwölfers. Er jubelt kurz bis 3000 Touren, um ein knackiges Hallo dazulassen. Jetzt ist er bereit. Schaltpaddle kurz gezogen, um den Achtgang-Doppelkuppler zu aktivieren - die automobile Augenweide rollt los. Doch gemach. Auch bei einem Ferrari wollen zunächst nervige Assistenten ausgeschaltet werden, das ist nun einmal Pflicht. Ansonsten zerrt eine übereifrige aktive Lenkung ständig an den Händen, um den Athleten wieder auf Spur zu bringen, obwohl er diese nie verlassen hatte. Doch man muss dazu schlecht rückmeldende Touchflächen auf dem Lenkrad bemühen. Das könnte man besser lösen.

Viel Display, aber teils schlecht bedienbare Touchflächen geben den Ton im 12Cilindri an. Immer am Start: das berühmte Manettino zur Wahl der Fahrprogramme.
(Foto: Ferrari)
Das wundert vor allem deshalb, weil der Innenraum ja ansonsten sauber verarbeitet ist und wertig wirkt. Die Skills sind also da. Und auch sonst scheinen die Italiener nicht um technische Lösungen verlegen. Wie sonst bekäme man eine Lenkung hin, die zugleich leichtgängig, aber so präzise wie ein Laserpointer ist. Lenkung und Fahrwerk sind neben der Maschine die Kernfeatures dieser 1,6-Tonnen schweren Vortriebsmaschine.
Das Leergewicht darf als moderat bezeichnet werden für heutige Verhältnisse. Indes verzichtet die Alu-Karosse auch weitgehend auf Ballast wie Allradantrieb oder Elektrifizierung. Ohne jedoch technisch aus der Zeit zu fallen - denn Allradlenkung war den Technikern schon wichtig, um die Agilität auf ein maximales Level zu bringen.

Der 6,5 Liter große Zwölfender klingt nicht nur sexy, er präsentiert sich obendrein wunderschön verpackt.
(Foto: Patrick Broich)
Fast schon sensationell mutet an, dass der 12Cilindri "by Wire" bremst. Ist dem pointiert agierenden Bremspedal jedenfalls nicht anzumerken. Und? Kann der exotisch-exklusive Italiener unter dem Strich etwas? Natürlich bleibe ich weit entfernt von jeglichen Grenzen, sowohl Längs- wie auch Querdynamik betreffend.
Der Ferrari 12Cilindri ist pfeilschnellImmer schön sachte, im Vordergrund steht der mit steigender Drehzahl kehliger werdende Motorenklang. Erst bei mehr als 9000 Touren ist Schluss. Dass ein 830-PS-Biest mit knapp 700 Newtonmetern Drehmoment seine Passagiere in den Sitz drücken kann (der auf Wunsch übrigens auch massiert, aber nicht besonders heftig), bedarf keines erneuten Beweises. Dennoch haut die Konzernzentrale vorsichtshalber mal diverse Zahlen heraus. Keine acht Sekunden sollen für den Sprint auf 200 Sachen vergehen, damit müssten selbst leistungsverwöhnte Menschen klarkommen. Und bei 340 km/h endet der Vortrieb. Passt.
Wie nun umgehen mit der Offerte 12Cilindri? Dass es einen V12-Bedarf gibt, scheint klar zu sein, sonst hätte Aston Martin mit dem neuen Vanquish nicht schnell wieder ein Modell mit entsprechendem Triebwerk aus der Mottenkiste geholt. Wird Ferrari weitermachen mit dieser exklusiven Motorenart? Die Kommunikation zu diesem Thema ist immer ein Balanceakt, weil man mit dem "letzten" Modell einer gewissen Art wirtschaftlich immer noch etwas herausholen möchte. Es schafft Begehrlichkeiten und kann teuer verkauft werden.
Vielleicht ist der 12Cilindri ja der letzte Sauger, wer weiß das schon? Aber der letzte Zwölfzylinder? Ich glaube es jedenfalls nicht. Eine Zwölfzylinder-Marke ist Ferrari jedenfalls schon lange nicht mehr. Zu viele Sechszylindermodelle wie auch das jüngste Topmodell 296 Speciale (gerade präsentiert) und inflationär eingesetzte V8-Performance-Ausführungen wie SF90 haben diesen Markenkern längst und in den letzten Jahren vor allem immer stärker verwässert. Ferrari-Gründer Enzo Ferrari hatte für seinen zeitgenössischen V6 im Dino Ende der 1960er-Jahre schließlich eine eigene Marke gegründet, um den Namen Ferrari nicht anzukratzen. Und genau das könnte aus Sicht so mancher Autofans mittlerweile passiert sein.
Quelle: ntv.de
n-tv.de