Gebrauchter BMW 1er: Besser den Vorgänger kaufen?

Zeiten ändern sich. Dass BMW einen Kompaktwagen baut, nahm zwar mit dem ersten Touring der 1960er und zwei Generationen des 3er Compact immer mal Fahrt auf, manifestierte sich aber erst 2004 in einer eigenen Baureihe, dem 1er. Kleiner haben sie's nicht in München, schließlich gibt die Nomenklatur auch nicht weniger her. Dafür, dass der 1er nicht zur Nullnummer wurde, sorgte zu Beginn das große Angebot an markentypischer Antriebs- und Fahrwerkstechnik. Sonnenklar, dass ein BMW 1er nicht den Klassenkönig Golf in so etwas Banalem wie Kofferraumvolumen oder Kaufpreis ausstechen würde, wenn er doch dafür die Option auf feinste Längseinbau-Sechszylinder mit Hinterradantrieb bot.
Auch maßvoll konfigurierte 1er boten ein mitreißendes Handling und fein abgestimmte Antriebe, mit denen sich beeindruckende Sparverbräuche erzielen ließen. Das Rezept führte auch der zweite 1er weiter. Mit mehr Platz und einer Motorenauswahl, die vernünftiger und gleichzeitig noch wilder war. Unzählige Schriftzüge von 114d bis 140i zierten die Heckklappen. Für Enthusiasten war das prima: ein Kompaktauto, dessen Kernkompetenz in gutem Fahren liegt. Die Kehrseite der Medaille war eine etwas beschränkte Modellvielfalt. Als kleinste Version eines Längsbaukastens, fiel es schwer, dem 1er-Derivate wie SUV, Crossover oder Familienautos zur Seite zu stellen. Der 2014 lancierte 2er Tourer brachte als erster Quermotor-BMW mit enger Verwandtschaft zu Mini die Trendwende und zeigte außerdem, dass die Käufer sich erstaunlich wenig um die bis dato so heilige Antriebstradition aus München scheren. Als nun Generation drei des 1ers fällig wurde, lag es nahe, auch diesen auf Quermotor-Technik und Frontantrieb umzustellen.
Diese kurze Geschichtsstunde klingt etwas unromantisch und doch gibt sie den Strategen im BMW-Konzern Recht. Nach mittlerweile sechs Jahren Bauzeit (noch mehr, wenn man die Technik der Plattform dazurechnet) wird klar: Der Neuzeit-1er ist auch auf Dauer ein richtig gutes Auto, auch wenn Längsmotor-Liebhaber wohl nie ganz mit dem vergleichsweise üppigen F40 für den Massengeschmack warm werden. Die entscheidende Frage ist: Wie gelingt es BMW mit herkömmlicher Kompaktware den Markenanspruch und die damit verbundenen Preise zu rechtfertigen? Was macht den 1er zum BMW? In puncto Selbstbehauptung trägt der F40 recht dick auf. Sehr viele Design-Merkmale wie die übergroße Niere und unzählige Charakterfalten innen und außen drängen sich ins Auge. Der Hofmeister-Knick in der C-Säule wird als ausgeklügeltes rahmenloses Scheibchen der Fondtüren betont. Selbst die von Natur aus sehr zahm klingenden Dreizylinder werden klanglich für Außenstehende von einem ungestümen Auspuffschnarren garniert. Auch Fahrwerk und Handling suggerieren mit Direkt- und Straffheit ein hohes Dynamikniveau, auch wenn der 1er in Wahrheit ganz artig und vor allem exakt fährt. Immerhin: Klassische Tugenden, wie die feine Verarbeitung, besitzt so ein 1er noch heute.
Genau so erwartet uns auch unser Fotoauto beim Autohaus Feser Graf in Roth. Ein 118i Baujahr 2021 mit schmalen 30.000 Kilometern auf dem Zähler, den wir gleich auf die Hebebühne fahren. Angesichts des recht tiefen und straffen Fahrwerks suchen wir hier nach Aufsetzspuren der ausgeschlagenen Fahrwerksgummis, werden aber nicht fündig. Der 1er hält die Unterkante seiner langen Nase in ausreichendem Abstand zu möglichen Hindernissen. Etwas sparsam fällt die Verarbeitung des Unterbodens auf. Zwar wirken Blechkanten und Nahtabdichtungen tadellos, doch fällt das Layout von Verkleidungen und Co. arg zerklüftet aus. Klar: Das sieht man von oben nicht. Doch gehören glattflächig verkleidete Unterböden mittlerweile zum Klassenstandard. Zusätzlich lauern speziell um die Hinterachse herum viele Schmutznester, in denen sich feuchter Dreck festsetzen kann. Schrauber werden bekritteln, dass manche Schraubenköpfe zügig rosten und im häufigen Kurzstreckenbetrieb die Auspuffanlage gern haltbarer sein dürfte.
Beim Einsteigen freut man sich über den wertigsten Innenraum aller 1er-Generationen. Verkleidungen, wie an den Dachsäulen oder den Sitzgestellen, sind sauberer verarbeitet als in manch größerem BMW. Trotz unzähliger Designlinien, -knicke und -falze wirkt das Cockpit aufgeräumt und die Bedienung ist über jeden Zweifel erhaben. Beim Kombiinstrument verzichtet man idealerweise auf das volldigitale Display, das nie so wirklich viel Anzeigevielfalt bietet. Die serienmäßigen Analoguhren mit hübscher Black-Panel-Technik sehen schick aus und sind viel besser ablesbar als die merkwürdig verspielten Balkenanzeigen im Digitaldisplay. Bordcomputeranzeigen werden gestochen scharf in der Mitte dargestellt. Das ist an dieser Stelle aus dem simplen Grund erwähnenswert, weil das große Facelift, das BMW glatt als Nachfolgegeneration bezeichnet, sowohl den unschlagbaren iDrive-Controller als auch die Radiobedienung unter den Lüftungsdüsen wegspart – ein Rückschritt. Wenig glorreich ist außerdem das Platzangebot im Fond. Speziell, wenn vorn größere Passagiere sitzen, reicht der Platz hinten oft nur noch für Kinder. Es fehlt an Beinraum und Kopffreiheit. Und jetzt kommt’s: Im Vergleich zum Vorgänger F20 gibt's im Fond zwei Fingerbreit weniger Innenhöhe und einen Hauch weniger Beinhöhe. Die etwas gewachsene Gesamthöhe des F40 schafft auch vorn nicht mehr Luft überm Scheitel, weil die Sitze höher montiert sind. Damit entfällt auch die herrlich involvierende tiefe Sitzposition, die für den 1er stets charakteristisch war. Die höhere Sitzposition hinten bewirkt trotz des geschrumpften Platzangebots, dass Große weniger "mit den Knien an den Ohren" reisen. Kurzum: Wer reinpasst, sitzt im Fond etwas bequemer als früher. Auch der Kofferraum bietet mit seinem Volumen von 360 bis 1.200 Liter keinen Deut mehr Raum als im Vorgänger. Immerhin verfügt er über wertige Teppichbeläge und einen praktischen doppelten Boden.
Unter der kurzen Fronthaube gibt es im F40 letztlich nur jeweils zwei eng verwandte Motoren pro Kraftstoffsorte, also jeweils einen Drei- und einen Vierzylinder Benziner (B38 und B48) bzw. Diesel (B37 und B47), die in verschiedenen Leistungsstufen zu haben sind. Konstruktiv sind Drei- und Vierzylinder jeweils modular aufgebaut, besitzen also viele Gleichteile. Das vereinfacht mögliche Reparaturen und senkt die Kosten für Ersatzteile. Einstige Probleme mit Steuerkettenschäden oder Kurbelwellenlager beim B38 gehören der Geschichte an. Ölundichtigkeiten im Alter kommen bei früheren Versionen dieser Motoren vor, sind aber beim 1er bisher ebenfalls nicht bekannt. Unterm Strich sind die Antriebe bemerkenswert krisensicher. Es fehlt letztlich höchstens an Emotion. Damit meinen wir nicht, dass die Basismotoren etwas mager wirken – das liegt in der Natur der Sache. Doch in früheren Generationen besaß ein 116i eine gewisse Laufkultur, ein bisschen Drehfreude und einen halbwegs souveränen Klang. Heute, wo die Leistungsbereiche bis einschließlich 150 PS von Dreizylindern abgedeckt werden, gibt's halt einfach nur "irgendeinen" Motor. Der ist wie bereits erwähnt erstklassig in der Haltbarkeit, macht aber mit näselig-klapprigem Laufgeräusch und seiner schweren Schwungscheibe, die ihn nur träge hoch- und vor allem abtouren lässt, einfach kaum Lust auf enthusiastisches Fahren. Dabei können wir nicht mal über die Leistungsabgabe meckern. Gerade als 118i hat schon der Dreizylinder mit 136 PS und 220 Nm ausreichend Schub für die meisten Lebenslagen. Die Vierzylinder, egal ob Benziner oder Diesel, machen den 1er richtig schnell. Aber sogar der mit 306 PS stärkste M135i will einfach nicht so recht die Emotionen wecken, die einst mit diesem Kürzel verbunden waren. Auch andere Sport-Fronttriebler mit "GTI" oder "N" im Kühlergrill liefern mehr Gaudi. Dennoch bleibt ein echter Pluspunkt in der grundsätzlich vorbildlichen Haltbarkeit aller 1er-Motoren.
Bis 150 PS sind sehr angenehm schaltbare manuelle Sechsgang-Getriebe serienmäßig an Bord. Weil die Schaltarbeit mehr Spaß als Mühe macht, ist es für die Gefühlsechtheit im 1er durchaus empfehlenswert, auch wenn die beiden Automatikoptionen blitzsauber abgestimmt und unproblematisch in der Haltbarkeit sind. Als Option steht für die meisten Motorisierungen ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe zur Wahl, das sehr verschliffen arbeitet und praktisch nie unerwünschte Schaltrucke erzeugt. Der 120d mit 150 PS ist sowohl als Schalter zu haben als auch mit der bekannt hochwertigen Achtstufen-Wandlerautomatik von ZF. Ab einschließlich 190 PS ist letztere dann die einzige Getriebemöglichkeit. Für den Top-Diesel, den 190-PS-starken 120d steht außerdem das Hang-On-Allradsystem xDrive zur Wahl. Weil dies auch bei forcierter Fahrweise im Alltag keine wirklichen Dynamikvorteile bringt, ist ein Allrad-1er wenn überhaupt nur eine empfehlenswerte Wahl für ernsthaftes Winterwetter.
Betrachtet man die Fahrwerkstechnik des 1er von unten, fällt auf, dass alle Komponenten verhältnismäßig üppig dimensioniert sind. Verglichen mit anderen Kompakten wirken Achsteile und Gummilagerungen auffallend hochwertig. Das täten sie auf dieselbe Weise auch im deutlich schwereren X1 oder einem 2er Tourer, die ebenfalls auf der UKL-Plattform (untere Klasse) fußen und somit viele Gleichteile besitzen. In jedem Fall spricht dies für eine überdurchschnittlich lange Haltbarkeit möglicher Verschleißteile. Gleiches gilt für die Mehrlenkerachse im Heck, an deren Radträgern kleine Schwingungstilgergewichte montiert sind, um bestimmte Fahrgeräusche zu eliminieren. Kurzum: BMW setzt vieles daran, auch für die Quermotor-Modelle einen wertigen und souveränen Fahreindruck zu schaffen. Genau so wirkt das Ganze dann auch, wenn man im 1er unterwegs ist. Das positive Gefühl eines schweren Autos – wenn auch nur subjektiv – erweckt er besser als andere. Damit das Fahrverhalten jedoch zumindest oberflächlich zum Markenimage passt, wurde die Federung unnötig straff abgestimmt. Eine etwas niedrigere Federrate würde den Wagen auch in schnellen Kurven nicht weniger sehnig erscheinen lassen, aber im Alltag für deutlich mehr Komfort sorgen. Gerade mit dem hier gezeigten, dezent tiefergelegten M-Fahrwerk nebst großer 18-Zoll-Alus fallen kleinere Unebenheiten und Querfugen störend auf. Wer es sanfter mag sollte also einen nicht-M suchen. Weil selbst das haltbarste Fahrwerk irgendwann Verschleiß erkennen lässt, gilt es außerdem einen Blick auf die Spurstangenköpfe zu legen. Speziell mit breiten Reifen und im Stadtverkehr mit viel Rangiererei werden erstere recht stark belastet. Ein zu früher Verschleiß der üppigen Querlenkerbuchsen vorn lässt auf eine ruppige Fahrweise des Vorbesitzers schließen.
Apropos Vorbesitz: zahlreiche 1er, speziell schwarze Basismodelle mit schmaler Ausstattung, wurden für Carsharing in Großstädten benutzt. Hier hilft sicherheitshalber die Überprüfung der Wagenhistorie. Grundsätzlich finden sich im Idealfall sämtliche Wartungsnachweise im Servicemenü des iDrive-Systems. Das ist sehr praktisch, allerdings sind digitale Einträge geduldig. Eine Mappe mit Rechnungen über alle Wartungen ist wie bei jedem Auto immer von Vorteil. Und sonst? Nun, der 1er rostet nicht, verliert kein Öl, hat zuverlässige Motoren und einen hochwertigen Innenraum, der selten bis gar nicht mit Abnutzungsspuren zu kämpfen hat. Wer ein gutes Exemplar hat, wird es über viele Jahre und Kilometer zufrieden fahren können. Einzig die Abgasanlagen leiden mitunter, wenn sie allzu oft dem Kondensat des Kurzstreckenbetriebs ausgesetzt werden. Etwas Aufmerksamkeit verdienen die relativ komplex aufgebauten Haubenschlösser. Die kennt man auch von anderen BMWs, wo sie sich alle Jubeljahre über etwas Sprühöl freuen, damit sie gangbar bleiben. Stimmt hier etwas nicht, zeigen das oft auch ungleichmäßige Spaltmaße, der ansonsten sehr fein eingepassten Motorhaube. Im langfristigen Privatbesitz empfiehlt es sich, die Schmutzecken des relativ zerklüfteten Unterbodens sauber zu halten, um Rost vorzubeugen.
Mit rund 4.300 Inseraten in Deutschland ist das Angebot an F40-Einsern groß. Spielt die Laufleistung keine Rolle, fangen günstige Dreizylinder bei rund 15.000 Euro an. Stehen 80 bis 100.000 Kilometer auf dem Zähler, liegen die Preise bei rund 17.000 Euro. Nur etwa die Hälfte der Inserate besitzt Motoren mit 150 PS und mehr. Dann fallen mit ein paar Extras bereits ab 19.000 Euro an. Weil der F40 als Gebrauchter noch recht frisch ist, finden sich von dort bis zum Quasi-Neuwagen natürlich unzählige teurere Exemplare. Letztlich entscheidet der Wunsch nach einem hochwertigen Kompaktauto, bei dem Haltbarkeit, hochwertige Machart und technische Finesse an erster Stelle stehen. Vergleichbare Golf und Co. bieten häufig einen etwas größeren Nutzwert für ein paar Tausender weniger. Der größte Konkurrent des F40 bleibt jedoch sein Vorgänger, der F20. Der ist bis auf wenige Details genauso praktisch und bietet letztlich sogar mehr Platz. Vor allem besitzt er aber mit seinem großartigen Handling und der sportlich tiefen Sitzposition genau die Vorzüge, die der aktuelle 1er nur zu imitieren versucht.
auto-motor-und-sport